Viel allgemeiner und auch viel gerechtfertigter sind die Klagen der Fischer über die Schädigungen durch den Fischreiher, gehört doch dieser stattliche Vogel auch heute noch vielen deutschen Ländern als Brutvogel an. Freilich auch seine Zahl ist, wie die aller größeren Vögel, außerordentlich zurückgegangen, und die wirklich reichbesetzten Reiherkolonien oder Reiherstände, welche Hunderte von Horsten vereinigen, gehören bereits zu den Seltenheiten. Viele Reiherstände sind völlig verschwunden. Nichts erinnert mehr daran, daß einst in den hohen Buchen und Eichen zahlreiche Horste standen; andere wieder, erst vor kurzem erloschen, zeigen noch in den Wipfeln der Bäume die verlassenen Brutstätten, bis schließlich ein Wintersturm die ineinander geflochtenen Reiser zerstreut. Jedenfalls sind die Zeiten vorbei, wo man sicher sein konnte, im Frühling und Sommer an jedem Fluß, an jedem See wenigstens einige dieser schönen Vögel anzutreffen.
Im Mittelalter und auch später noch, bis ins 17. Jahrhundert, erfreuten sich edle Herren und Damen an der Reiherbeize. In frohem Zuge ritt man von der Burg herab, gefolgt von Jagdgästen, Falkonieren und der bellenden Meute. Zeigte sich ein Reiher, so ließ der Jagdherr und gleich darauf eine der Damen die schnell entkappten Falken steigen, die nun versuchten, das immer höher gehende Beutetier gemeinsam unter sich zu bringen. »Wie auf der Fuchshatz sausen Reiter und Reiterinnen durch dick und dünn, den sich in der Ferne fast verlierenden Kämpfern nach. Endlich hat ein Falk die Fänge in die dicken Schwingen des Reihers gehakt, und beide Partner wirbeln zur Erde. Der erste Reiter packt sie, bekappt den Falken und stellt den Reiher der Dame vor.« Die unbeschädigten Reiher, denen man nur ein paar Schmuckfedern nahm, ließ man dann oft wieder fliegen; doch tötete man sie auch bisweilen, weil ihr Wildbret auf vornehmen Tafeln sehr geschätzt war.
Der Reiher gehörte damals zur »hohen Jagd«, deren Ausübung das Vorrecht hochstehender Personen, geistlicher und weltlicher Würdenträger, war. Die Strafen, mit denen die unbefugte Tötung eines Reihers bedroht ward, waren äußerst hart. Kein Reiherhorst durfte zerstört, kein Ei genommen werden, und nur dem Fischereiberechtigten war es allergnädigst gestattet – Scheuchen aufzustellen. In Sachsen erreichte die Falknerei unter August dem Starken ihren Höhepunkt; es wurden stattliche Summen für diesen Jagdsport ausgegeben, und wenn die Falken auch auf das verschiedenste Federwild, z. B. Trappen, Gänse, Schwäne, Rebhühner, Wachteln, losgelassen wurden, die Beizjagd des Reihers blieb doch immer die Hauptsache.
Wie haben sich die Zeiten gewandelt! Das deutsche Vogelschutzgesetz hat die Reiher, sowohl den grauen Fischreiher, wie den Nachtreiher und die Rohrdommel, auf die Liste der Geächteten gesetzt; es gewährt ihnen in keiner Weise irgendwelchen Schutz, und die preußische Jagdordnung vom 15. Juli 1907, die doch alle Sumpf- und Wasservögel als jagdbare Tiere bezeichnet, schließt die grauen Reiher – ebenso die Taucher, Säger, Kormorane und Bläßhühner – von diesem Vorrecht aus. In Preußen entbehren also die Fischreiher des Jagdschutzes, während die andern Reiherarten, eingeschlossen die Rohrdommeln, jagdbar sind. Der Fischreiher unterliegt somit in Preußen dem freien Tierfang, d. h. er darf auch vom Nichtjagdberechtigten allezeit gefangen, getötet und seiner Brut beraubt werden; er ist völlig schutzlos, der Willkür eines jeden preisgegeben.
Bei uns in Sachsen liegen die Verhältnisse insofern etwas anders, als die Reiher jagdbar sind. Es hat also nur der Jagdberechtigte ein Anrecht auf sie. Irgendwelche Schon- und Hegezeit ist den Reihern freilich versagt. Das Gesetz über die Ausübung der Fischerei vom 15. Oktober 1868 gestattet aber auch den Fischereiberechtigten, den Fischreiher – ebenso den Fischotter – zu fangen und ohne Benutzung des Schießgewehrs zu töten. Innerhalb 24 Stunden sind die auf diese Weise erbeuteten Vögel an den Jagdberechtigten auszuliefern. Auf die andern Reiherarten steht dem Fischer kein Anrecht zu. Ähnlich lauten die Bestimmungen in den meisten deutschen Einzelländern. In Bayern, Sachsen-Weimar, Hessen ist der Fischreiher wie bei uns jagdbar, in Württemberg, Baden, Mecklenburg, Oldenburg vogelfrei wie in Preußen.
Ich wüßte keinen einheimischen Vogel zu nennen, dessen Geschlecht in den letzten 150 bis 200 Jahren so blutigen Verfolgungen ausgesetzt gewesen wäre, wie der Fischreiher, und wenn diese Verfolgungen heute auf ein geringeres Maß zurückgegangen sind, so liegt der Grund hierfür nur in der Tatsache, daß die Reiher an Zahl außerordentlich stark abgenommen haben. Der Haß, mit dem man dem Fischräuber begegnet, ist der gleiche geblieben. Wo sich der schöne, schon durch seine Größe auffallende Vogel zeigt, und sei es auch nur auf der Wanderung, wenn er ein wenig rastet, da sucht man seiner habhaft zu werden; an den Horstplätzen aber wird zur Brutzeit unter den Alten sowohl, wie namentlich unter den bald flugbaren Jungen, die auf dem Horstrand hocken, oftmals das furchtbarste Blutbad angerichtet. Am Wasser stellt der Fischer versteckte Fangeisen auf; tollkühne Burschen klettern an den hohen Horstbäumen empor und wagen sich bis zu den Nestern, die häufig auf den schwankenden Enden der Äste ihren Platz haben; sie rauben die licht-grünlichblauen Eier, deren das volle Gelege meist 4 bis 5 Stück zählt. Prämien, von Fischereivereinen gewährt, locken immer mehr zu rücksichtsloser Vertilgung. In der Tat, man muß sich wundern, daß es auch heute noch im Deutschen Reiche eine Anzahl von Reiherhalden gibt – gegen früher allerdings nur spärliche Reste. Ich fürchte sehr, daß auch diese in einem halben Jahrhundert fast völlig verschwunden sein werden, und daß dann der Reiher für Deutschland als Brutvogel ebenso selten sein wird, wie heute schwarzer Storch, Kolkrabe, Uhu oder Wanderfalk.
In Süddeutschland, d. h. südlich des Mains, gibt es schon jetzt kaum noch ein paar kleinere Kolonien; sie sind fast alle in den letzten 30 oder 50 Jahren vernichtet oder versprengt worden, so daß sich nur noch hie und da einzelne Reiherhorste finden. Als fast einzige Ausnahme ist die Kolonie bei Schloß Morstein an der Jagst, auf der Besitzung des Freiherrn von Crailsheim, hervorzuheben; aber auch sie ist stark zurückgegangen, und von den 200 Horsten, die sie vor einigen Jahren zählte, wird wohl kaum noch die Hälfte besetzt sein, obgleich die Besitzer von jeher den schönen Tieren Schutz gewährten und auf manche Vorteile verzichteten. Es ist leicht möglich, daß diese Kolonie das ehrwürdige Alter von mehr als einem halben Jahrtausend erreicht hat; denn eine Nachricht aus dem Jahre 1586 besagt, daß die Reiher hier schon »seit vielen hundert Jahren« horsten. Die Maingegend zählt noch einige Reiherstände; in Mittelfranken beherbergte z. B. der Windheimer Stadtwald Schoßbach im Forstamte Ipsheim noch vor einiger Zeit eine Kolonie von 20 bis 25 Horsten; wie es heute um sie steht, weiß ich nicht. Auch im Hessischen gibt es noch einige kleine Reiherhalden, während die Kolonien bei Nürnberg, Neuhaus in der Fränkischen Schweiz u. v. a. der Vergangenheit angehören. In ganz Elsaß-Lothringen scheint der Fischreiher nur als Strichvogel und auch nur ausnahmsweise vorzukommen, und in der Rheinprovinz ist sein Brutgebiet ganz beschränkt.
In den übrigen Ländern Mittel- und namentlich Norddeutschlands ist der Reiher noch häufiger; er fehlt als Brutvogel wohl keiner preußischen Provinz völlig und tritt ebenso in Oldenburg und in Mecklenburg in mehreren Kolonien auf. Aber es gibt doch auch weite Gebiete, wo man heute vergeblich selbst nach nur einzelnen Reiherhorsten suchen würde. Unserm Sachsen fehlt der Reiher als Brutvogel völlig, nachdem die letzte Kolonie auf den alten Eichen einer Insel im »Horstsee« bei Schloß Hubertusburg durch Fällen der Bäume i. J. 1888 vernichtet worden ist. Einige Reiher zogen sich wohl nach dem Wermsdorfer Wald zurück, sind aber auch dort schon längst völlig verschwunden.
Die letzte Kolonie ganz in der Nähe der sächsischen Grenze, nur 10 oder 11 km von ihr entfernt, nördlich von Königswartha, die ich i. J. 1912 besuchte, stand in einem öden Kiefernwald bei Weißkollm. Ich konnte im ganzen 16 Horste zählen, die bis auf einen sämtlich besetzt waren: mächtige Bauwerke aus starken Reisern, 1½ bis gegen 2 m im Durchmesser, mit weißem Kot übertüncht. Generationen haben an diesen Horsten gebaut, die seit Menschengedenken von den schönen Vögeln bewohnt wurden. In jedem Jahr die gleiche Anzahl von Reiherfamilien, nicht mehr und nicht weniger. Ein herrlicher Anblick, wenn die stolzen Segler der Lüfte ruhigen Flugs über den uralten Föhren, die ihre Nester tragen, in schwindelnder Höhe kreisen! Kopf und Hals sind auf den Rücken gelegt, daß nur der lange Schnabel hervorschaut; die Ständer werden weit nach hinten gestreckt, und in dem schönen Federbusch am Kropf spielt lustig der Wind. Dann läßt sich ein oder der andere Reiher auf dem Horstrand nieder und füttert die Jungen mit Fischen, die er ihnen aus weiter Ferne im Kehlsack bringt; denn ein Gewässer findet sich nicht in der Nähe. Wie ich mit großem Bedauern höre, ist in den letzten Jahren die Kolonie stark zurückgegangen, vielleicht ganz verschwunden.
Hannover, Schleswig-Holstein, Pommern, West- und Ostpreußen beherbergen noch immer eine stattliche Anzahl von Reiherhorsten; Posen, Schlesien, Brandenburg, die Provinz Sachsen sind schon ärmer daran. Man sieht, der Reiher bevorzugt im allgemeinen die Niederungen mit ihren ruhig fließenden oder stehenden Gewässern, dazu die Meeresküste. Ob das Jagdgebiet mehr oder weniger im freien Gelände liegt, ob dichtes Gebüsch die Ufer besetzt oder ob finsterer Wald den See von allen Seiten umgibt, das ist den Reihern gleich, sobald sich nur seichte Uferstellen finden, wo sie, im flachen Wasser stehend, dem Fischfang ungestört obliegen können.
Die größte Reiherkolonie habe ich vor ein paar Jahren – es war in der zweiten Hälfte des Mai – an der deutschen Ostseeküste besucht. Den Ort verschweige ich; ebenso verrate ich nicht, wieviel besetzte Horste hier auf den hohen Eichen stehen mögen. Sonst fangen die pommerschen Boddenfischer, wenn sie’s hören, sofort an zu multiplizieren, erst die Anzahl der Reiherpaare mal zwei bis drei Dutzend spannenlanger Fische, das Produkt mal 180 – so viele Tage ungefähr weilt der Reiher an seinem Brutplatz – dann wird dividiert, nun weiß man die Kilo, und wieder multipliziert – man hört ganz deutlich die Goldstücke klimpern, die man ohne die Reiher einheimsen könnte. Aber von dem Schaden, den die Fischer sich selbst dadurch zufügen, daß auch sie so oft alles kleine Fischgewürm, das sich in den Netzen gefangen hat, mit zu Gelde machen, davon wollen die Leute nichts hören.
Wenigstens 20 bis 25 m schätzte ich die Höhe der Horste. Manche Eiche trug deren fünf oder sechs. Die Alten fütterten eifrigst, viele brüteten aber auch noch. Die großen Vögel kreisten schreiend über den Horstbäumen. Ihre riesigen Schatten huschten ganz eigentümlich zwischen den Eichen, deren Kronen noch ziemlich unbelaubt waren, dahin. Es sah noch leidlich reinlich im Nistrevier aus: ein paar Eierschalen, etwas weißer Kot und nur ausnahmsweise ein verwesender Fisch. Wie anders, wenn man später kommt! Da muß man in solchem Unrat förmlich waten, wie es mir erging, als ich vor vielen Jahren einmal im Sommer eine große Reiherkolonie an der Elbe, unterhalb Wittenberg, besuchte.
An einem der folgenden Tage sollten einige Reiher abgeschossen werden. Auf höheren Befehl mußte sich der Oberforstmeister dazu bequemen; denn die Fischer hatten sich schon ein paarmal bei der Regierung beklagt, daß man hier die Reiher, die doch so grenzenlosen Schaden anrichten, ruhig gewähren lasse, ja sie geradezu hege und züchte. »Zwölf Stück, nicht mehr!« so lautete die strenge Weisung, die der Oberforstmeister uns gab, »und nicht zwei von demselben Horstbaum abschießen, damit der Überlebende des Paares die Brut weiter aufzieht, auch peinlich darauf achten, daß kein Reiher dabei in den Horst fällt, wodurch die Jungen elend umkommen müssen, also nicht schießen, wenn der Reiher gerade über seinem Nest schwebt!« Wir hatten das Dutzend schnell zusammen; denn wenn auch nach jedem Schuß die Vögel abstreichen, sie kommen doch recht bald wieder, falls man sich nur ein wenig hinter den Stämmen versteckt. Die Mutterliebe läßt sie die Gefahr nicht achten.
Die armen zwölf Stück! Für die andern hatten sie das Leben gelassen – Opfer des Vogelschutzes, so seltsam es klingt. Ein mäßiger Abschuß war eben unbedingt nötig, um den Klagen der Fischer etwas gerecht zu werden. Nur auf diese Weise läßt sich die Brutkolonie dauernd erhalten. Wir banden die prächtigen Tiere, damit sie von allen Dorfbewohnern gesehen würden, an den Jagdwagen und fuhren durch ein paar Dörfer mehr, als nötig gewesen wäre, wieder heimwärts. Schaut, ihr Fischer, wie man sorgt, daß ihr die Fischräuber los werdet, und haltet den Mund nun!
An unsern sächsischen Teichen, ja sogar an Gebirgsbächen halten sich die Reiher, namentlich auf ihrer Wanderung, gern auf; es findet sich überall ein Plätzchen, wo selbst das schnellfließende Wasser seinen eiligen Lauf unterbricht. Den Hals niedergebogen, den Schnabel gesenkt, den spähenden Blick auf den Wasserspiegel gerichtet, so schleichen die schlanken Gestalten mit behutsamem Tritt am Ufer entlang; sie gehen nur so weit ins Wasser, daß es ihnen höchstens an die Fersen reicht. Bisweilen verharren sie auch stundenlang unbeweglich fast auf demselben Fleck. Nur von Zeit zu Zeit schnellt blitzartig der Hals vor, so daß der Schnabel, oft auch zugleich der Kopf unter der Wasserfläche verschwindet. Selten nur geht der Stoß fehl; das Bajonett trifft sein Ziel mit großer Sicherheit. Der zappelnde Fisch wandert sofort in den unersättlichen Schlund.
Außer Fischen fängt der Reiher auch Frösche, Kaulquappen, größere Wasserkäfer, Libellen und ihre Larven, Regenwürmer; selbst den Mäusen stellt er nach, ebenso jungen Sumpf- und Wasservögeln, und manchmal muß er seinen Hunger mit dünnschaligen Teichmuscheln stillen. Aber Fische, von den kleinsten angefangen bis zur Größe von etwa 20 cm, daß er sie gerade noch hinabzuwürgen vermag, sind ihm doch die liebste Kost. Nach der Art der Flossenträger fragt der Reiher dabei nicht im geringsten. Kleine Karpfen, Hechte, Forellen, Karauschen, die verschiedenen Weißfischarten, Aale, Schleien, selbst Barsche und Stichlinge – es ist ihm alles willkommen, mehr auf die Menge sieht er als auf die Güte.
Unter solchen Umständen kann man es dem Fischereiberechtigten nicht verdenken, wenn er auf den hochbeinigen Mitbewerber sehr schlecht zu sprechen ist, und es wäre jeder Versuch, diesen weißwaschen und seine Diebereien beschönigen oder gar leugnen zu wollen, von vornherein lächerlich. An ganz fischarmen Gewässern richtet der Räuber natürlich keinen Schaden an, schon aus dem Grunde nicht, weil er sich dort nie lange aufhalten wird; ebenso meidet er alle Gewässer, die sofort am Ufer so tief einsetzen, daß er darin nicht waten kann. Auch wo regerer Menschenverkehr Unruhe bringt, zeigen sich nur ausnahmsweise einmal ein paar Reiher. Der Vogel findet es sehr schnell heraus, wo eine reiche Beute seiner wartet, und sein regelmäßiges Vorkommen in einer bestimmten Gegend ist – ich möchte sagen, der erfreuliche Beweis dafür, daß die Gewässer der Umgebung sehr fischreich sind.
Naturfreunde haben zur Ehrenrettung des Reihers darauf hingewiesen, daß dort, wo »wilde Fischerei« betrieben wird, wie vielfach in den Gräben der Elb- und Wesermarsch, der Fischer dem Vogel nichts vorzuwerfen habe: Raubfischerei üben sie beide, indem sie ernten, wo sie nicht säten. Ist aber die Konkurrenz deswegen weniger ärgerlich? Zur Brutzeit, so hat man weiter gesagt, fange der Reiher nur kleine Fische, »Seitenschwimmer«, wie sie sich massenhaft in der Nähe der Ufer herumtummeln. Indessen, die Horstjungen entwickeln sich schnell und bedürfen sehr bald größerer Bissen, und außerdem aus der Unmenge kleiner Fischlein würden doch im Laufe der Zeit wenigstens einige große wertvolle Fische heranwachsen. Viele Flüsse und namentlich die Boddengewässer am Meer, hat man gemeint, seien so reich an Fischen, daß der Abbruch, den die Reiher zufügen, nicht der Rede wert wäre. Wer so urteilt, der hat sich’s sicher noch nicht klar gemacht, daß eine größere Reiherkolonie von hundert Horsten und mehr gewiß auch gegen hundert Zentner alljährlich an Nahrung bedarf. Freilich gefangen werden müßte diese Menge auch erst von den Fischern, eine Arbeit, die ihnen die Reiher abnehmen.
Nur das eine wird man bis zu gewissem Grade gelten lassen: es fallen mehr die Raubfische im weitesten Sinne, wie Aale, die dem Fischlaich nachstellen, Hechte und Barsche, die den Jungfischen verderblich werden, und minderwertige Weißfische den Reihern zur Beute, weil sich die genannten mehr an jenen Örtlichkeiten aufhalten, wo die Vögel mit Erfolg zu fischen vermögen, während andere, z. B. Karpfen und Schleien, die Tiefen vorziehen und die Nähe der Ufer gewöhnlich meiden. Auch die Forelle, die sich mit Vorliebe an steilen Ufern aufhält und unter Steinen und Wurzeln gern Deckung sucht oder in starker Strömung auf dem Anstand steht, ist dadurch vor den Reihern einigermaßen gesichert. Wo aber künstliche Fischzucht getrieben wird, wo ein nach vielen Tausenden zählendes Kapital sich verzinsen muß, da kann man den regelmäßigen Besuch der Reiher unter keinen Umständen dulden.
Wie bei so vielen Fragen, muß auch hier immer von Fall zu Fall entschieden werden. Es gibt sicher unzählige Gewässer im Deutschen Reich, wo man nicht sofort jeden Fischreiher zu fangen oder niederzuknallen braucht, wenn sich mal einer zeigt, und ich kenne manchen Fischereiberechtigten, der gern eine kleine Einbuße erleidet, weil auch er an dem herrlichen Vogel, der die Landschaft belebt, seine Freude hat. Es gibt aber auch genug Besitzer oder Pächter, die selbst mit geringen Summen rechnen müssen. Könnte hier nicht – natürlich nur von Fall zu Fall – der Staat eintreten und den Schaden ersetzen, oder sollten sich bei der großen Naturschutzbewegung unsrer Tage nicht einige begeisterte Vogelfreunde finden, die bereit wären, ein Scherflein zu opfern, um ein paar Reiher, vielleicht die einzigen in einer weiten Landschaft, zu retten? Unwirtschaftlich, so wird man diesen Vorschlag nennen. Mag sein – aber ich frage: Läßt sich der Nutzen und Schaden eines Tieres immer nur berechnen nach Geld und Geldeswert?
Soviel steht fest: durch die maßlose Verfolgung ist der schöne Vogel für viele Gegenden unseres Vaterlandes dem Aussterben nahegebracht. Mag man ihn dort, wo er noch in größerer Zahl auftritt und empfindlichen Schaden anrichtet, auch weiter kurz halten, ein paar Reiherhorste sollte man doch zu erhalten suchen, auch ein paar größere Kolonien unter staatlichen Schutz stellen.