Die nächsten Verwandten des Igels, die Spitzmäuse, sind Gnomengestalten, die kleinsten unter den Säugetieren; ja das winzigste Geschöpfchen, die Zwergspitzmaus, wird nur 9 cm lang, wobei das Schwänzchen sogar mitgerechnet ist, und die häufigste Art, unsre Waldspitzmaus, ist auch nicht viel größer: 11 cm, wovon reichlich 4 cm auf den Schwanz kommen; der kleine Finger des Menschen ist meist noch etwas größer. Alles ist zierlich an diesem Zwergengeschlecht: das rüsselartig verlängerte Näschen, die winzigen schwarzen Perlen der Äuglein, die niedlichen Ohren, die Pfötchen, und das Fell so weich, ein Samthabitchen, wie es auf der ganzen Welt nicht seinesgleichen gibt. Und gar erst die Zähnchen: köstlich diese winzigen Gebilde, 32 an Zahl, dolchspitz, scharfhöckerig; gleich den Schneiden der Schere passen sie aufeinander oben und unten, zum Zermalmen der harten Chitinpanzer, wie sie die Insekten tragen, geschaffen und zum Zerschneiden von Haut und Muskeln der kleinen Beutetiere geeignet.
Aber die Waffe allein tut’s nicht, die Spitzmäuse verstehen sie auch zu führen, und eine Tapferkeit, ja Todesverachtung steckt in diesem Pygmäengeschlecht, daß kein Wesen sicher vor ihnen wäre, wenn sie eben nicht zu den kleinsten Warmblütern gehörten. Wehe, wenn sich ein anderes Tier in das Bereich der Kleinen verirrt! Jede Maus wird angefallen und bald überwunden. Kampf auf Leben und Tod! Pardon geben, das kennen die Spitzmäuse nicht, und der Sieger frißt den Besiegten. Ein paar Wollfleckchen bleiben übrig, vielleicht auch das Schwänzchen. Die Zähne vermögen selbst die stärksten Knochen der Maus zu zerknacken. Erbitterte Kämpfe auch unter den Artgenossen, sogar unter den nächsten Blutsverwandten. Die Mutter beißt ihr Kind tot, das sie entwöhnt hat, wenn’s wieder zu ihr zurückkehrt, und frißt es mit Stumpf und Stiel – nun wird’s das Wiederkommen vergessen; der Gatte frißt die Gattin, die Geliebte den Freier, der Bruder den Bruder. Keins fühlt sich sicher vor seinen Genossen; es kommt nur darauf an, wer der Stärkere ist. Gewalt geht vor Recht.
Auch ihre Wohnung hat sich die Spitzmaus meist mit Gewalt erobert, ein Mauseloch ist’s. Der rechtmäßige Besitzer ist den Weg alles Fleisches gegangen und seine hoffnungsfrohe Kinderschar mit ihm. Oft genügt der Spitzmaus auch eine Höhlung im Wurzelgeflecht einer Buche, einer Eiche oder eine kleine Bodenvertiefung zwischen allerlei Pflanzenwust zur Aufnahme ihres Wochenbetts. Ende Mai, Anfang Juni ist die Kinderstube voll jungen Lebens: fünf bis zehn winzige Dinger, nackt und unbeholfen, blind noch und zahnlos. Piepend und winselnd suchen sie nach dem Milchquell, wenn die Alte sich sorgsam über die rosigen Körperchen legt. Dann herrscht Ruhe am häuslichen Herd; nur das saugende Atmen vernimmt die glückliche Mutter, bis schließlich eins nach dem andern die Zitze freigibt. Nun sind sie gesättigt und schlafen, und die Mutter kann auf kurze Zeit ihre Kinder verlassen, um für die eigne Nahrung zu sorgen.
Nach vier Wochen schon wird sie von der kleinen Gesellschaft begleitet, meist gegen Abend, wenn die Sonne zur Rüste gegangen ist. Fürs helle Licht taugen die Äuglein nicht; da werden sie zugekniffen, daß sie vollständig im Samtfellchen verschwinden. Und selbst im Dunkel der Nacht folgen die Spitzmäuse gewiß nicht dem Auge, vielleicht auch nur selten dem Ohr; in dem Rüsselchen haben sie, was sie bedürfen, einen feinen Spürsinn und feinen Geruch, der Insekten und Würmer wittert und dem Jäger die geringsten Erschütterungen des Bodens verrät, die solch’ kleine Beute verursacht. Die Spitzmäuse sind ausschließlich Fleischfresser; sie verhungern lieber, als daß sie irgendwelche Pflanzenkost anrühren. Und deshalb gehören sie für den Menschen zu den nützlichsten Tieren, zumal ihr Appetit außerordentlich groß ist. Hunger längere Zeit zu ertragen, wie etwa der Frosch es vermag, das ist einer Spitzmaus unmöglich. Wieviel Leben steckt aber auch in dem kleinen Warmblüter, mit dem Stumpfsinn des Lurchs nicht zu vergleichen!
Selbst im kalten Winter sind die Spitzmäuse munter und guter Dinge; von einem regelrechten Winterschlaf wollen sie nichts wissen. Ja ich habe die kleine Gesellschaft nie so lebhaft gefunden, wie gerade in der kalten Jahreszeit. Da kommen die Spitzmäuse gern von den Feldern und Waldrändern herein nach den Ställen und Schuppen der Landwirte, huschen nach Mäuseart überall herum und suchen, wie sie ihren Hunger stillen. Im verborgenen Winkel zwischen dem Gebälk schlummert so manche Insektenpuppe, und mancher Falter hat sich hier zur langen Winterruhe zurückgezogen; Spinnen gibt’s auch überall, und wenn man Glück hat, läuft einem auch ein Mäuschen über den Weg – dann wehe dem kleinen Nager!
Die Spitzmäuse haben wenig Freunde unter den Menschen. »Mäuse« sind’s, denkt der Bauer und schlägt sie tot oder zertritt sie roh mit dem Stiefel. Da sind Spitz und auch der alte erfahrene Kater weit klüger, als ihr Herr und dessen ganze Familie. Spitzmäuse und Mäuse können die beiden gar wohl unterscheiden. Freilich der Kater läßt sich auch täuschen, doch nur im ersten Augenblick; er fängt die Spitzmaus wie jedes Mäuslein und beißt sie tot – ein kurzer Aufschrei, dann ist alles vorbei. Aber statt die Beute zu fressen, läßt er sein Opfer unbeachtet liegen und wischt sich den Mund, als habe er etwas Unreines berührt. Und der Spitz? Er fährt wohl auch auf das samtige Tierchen los, aber er packt’s nicht; denn der Moschusgeruch, den die Spitzmaus ausströmt, ist so stark, daß keine feine Hundenase dazu gehört, um zu erkennen, um wen sich’s hier handelt. Einem anständigen Hund ist nichts widerlicher, als solch mit Moschusparfüm behaftetes Wildbret – pfui Pudel! denkt sich der Spitz. Selbst Fuchs, Iltis und Steinmarder mögen von der Spitzmaus nichts wissen, obgleich sie selbst doch auch nicht gerade nach Veilchen oder Maiglöckchen duften. Nur die gefiederten Mäusejäger, die Tagraubvögel, vor allem der Bussard, ebenso die nächtlichen Eulen sind nicht so empfindlich. Sie fragen nicht lange: ist’s Spitz- oder Feldmaus? Mit ein paar Schnabelhieben wird die Beute getötet und zerteilt, oder sie schlucken das ganze Tierchen auf einmal hinunter, wie wir eine bittere Pille; da merkt man von dem Moschusgeruch und dem üblen Geschmack nur wenig.